Gödringen - Ob es einen Zusammenhang zwischen der Enthauptung des Geistlichen Bissendorf und der Deckenmalerei in St. Nicolai gibt, soll mithilfe eines Forschungsauftrages geklärt werden. Dabei spielt eine ehmemaliger Andreaner eine tragische Hauptrolle.
Gut elf Jahre ist es her, dass bei Renovierungsarbeiten am Gefache der St.-Nicolai-Kirche in Gödringen ein verborgener Kunstschatz zutage trat. Was folgte, waren wie mehrfach berichtet zähe Verhandlungen mit dem Kirchenamt sowie Überzeugungsarbeit bei Sponsoren, bevor Restauratoren am Ende Bildszenen zu Christi Geburt, Kreuzigung, Himmelfahrt, dem letztem Abendmahl und der Darstellung des Jüngsten Gerichts freilegen konnten. Doch Ortsbürgermeisterin Heidi Weise und Ingrid Otto vom Vorstand der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde Sarstedt-Land schließen das Projekt nicht ab. Vielmehr haben sie Professor Dr. Thomas Kaufmann, der Kirchengeschichte an der Universität Göttingen lehrt, ins Boot geholt – um die Geschichte des Pastors Johannes Bissendorf wissenschaftlich erforschen zu lassen.
Weiße Krümel von der Decke
Als die Mitglieder und Freunde des Arbeitskreises Dorfleben am Sonntag beim Besuch der St.-Nicolai-Kirche aus dem gleißenden Sonnenlicht kommend das dunklere Gotteshaus betreten, öffnet sich zunächst nur langsam der Blick. Das Erstaunen danach ist aber umso größer. „Das hätte ich nicht erwartet“, meint ein Besucher. Das Tonnengewölbe schmückt ein ovales Deckenmedaillon zur Auferstehung Christi, mit Begleitmotiven über Altar und Orgel. „Wir zeigen so gerne unsere kleine Kirche. Besonders jetzt, nachdem die Malereien freigelegt sind“, begrüßt Heidi Weise die Gäste. Dabei war lange nicht klar, was sich da an farbenfroher Malerei unter den mit weißer Farbe überpinselten Stofflappen über dem Kirchenschiff verbarg.
Weil die Kirchenbesucher, die auf der Empore saßen, ständig weiße Krümel auf ihrer Kleidung fanden, wurde nach der Ursache gesucht. Dabei stellte man fest, dass unter der hellen Farbschicht der Tonnendecke „irgendwas“ ist. „Wir wollten es genauer wissen“, erinnert sich Ingrid Otto.
Eine erweiterte Voruntersuchung in 2013, die der Zwölf-Apostel-Vorstand genehmigte und für die der Förderkreis 4000 Euro sammelte, brachte schließlich die Erkenntnis. Die Fachleute legten das Gesicht, die Hand mit Wundmal sowie Teile der Fahnenstange, die Christus hält, frei. Darunter befinden sich zwei bärtige Figuren, wohl die Wächter des Grabes. Angefixt von den Entdeckungen machten sich Otto und Weise daran, Unterstützer ins Boot zu holen – und stießen dabei auf die Rudolf-August-Oetker-Stiftung, die einen großzügigen Betrag in die Restauration fließen ließ. Der Rest ist Geschichte.
Im Zuge der Arbeiten legten die Fachleute auch ein sehr gut erhaltenes Bild des Pastors Johannes Bissendorf frei, der 1629 wegen seines Eintretens für den evangelischen Glauben enthauptet und so zum Märtyrer geworden ist.
Ein Fall von Justizmord
Bissendorff – 1580 in Heyersum geboren, am Andreanum ausgebildet und 1621 Pfarrer in Gödringen – verlor den Kopf aufgrund seiner protestantischen, scharfen Reden. Das Ganze ist ein Fall von Justizmord, denn das Kölner Gericht, das das Todesurteil fällte, hatte kein Recht, einen Untertanen des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel zu verurteilen. Seine Leiche vergrub man zunächst in Steuerwald unter einer Eiche. Bissendorffs Witwe Margarete erreichte jedoch, dass der Leichnam auf Befehl von Herzog Georg II. von Braunschweig ausgegraben und in der Gödringer Kirche beigesetzt wurde – allerdings erst 50 Jahre später. Vorher war die Zeit des 30-jährigen Krieges, und just die Katholische Liga hatte die Umgebung fest in ihrer Hand. Mit dem Kopf zu seinen Füßen wurde Bissendorf nördlich des Altars beigesetzt. Heute erinnert das Bild an den streitbaren Lutheraner, der in seinen Schriften Gift und Galle gegen Anhänger des Papstes spie.
„Wir wollten schon länger die Geschichte Bissendorfs wissenschaftlich erforschen lassen. Uns interessiert, ob ein Zusammenhang zwischen der Enthauptung Bissendorfs und der Deckenmalerei besteht“, erklärt Otto. Deshalb wollten sie und Heidi Weise Kontakt zu Prof. Dr. Thomas Kaufmann aufnehmen, der in Göttingen Religionsgeschichte lehrt. Von allen Seiten sei ihnen gesagt worden, dass sie das nicht schaffen würden. Schließlich sei der Theologe eine Kapazität. Erst 2020 wurde der international bedeutendste Reformationsforscher mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet.
Der Durchsetzungswille der beiden Frauen war jedoch geweckt. Und so ließen sie sich auch nicht von Kaufmanns Sekretärin abwimmeln und schafften es, mit ihm zu telefonieren. Kaufmann lud sie nach Göttingen ein. Dort weckten sie mit Überzeugungskraft und einer Power-Point-Präsentation tatsächlich dessen Interesse. Der schickte nun seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Christoph Schönau mit einem Forschungsauftrag nach Gödringen. Weit hat dieser es nicht, denn Schönau wohnt mit seiner Familie in Giften.